aus:
Graswurzelrevolution Nr. 282, Oktober 2003
Zapatistas starten politische Offensive
Autonome Räteverwaltung in Chiapas trotz Armut und Repression
etabliert
Proteste und Vernetzung in Cancún anlässlich der WTO-Tagung
Mexiko. Vom 8. bis 10. August feierten in Chiapas rund 20.000
Menschen die offizielle Installation der Selbstverwaltung der zapatistischen
Bewegung. Die beeindruckenden Feierlichkeiten, an denen hauptsächlich
Unterstützungsbasen der EZLN (Zapatistische Armee zur nationalen Befreiung), aber auch die mexikanische und internationale
solidarische Zivilgesellschaft teilnahmen, fanden in Oventik, im Hochland von
Chiapas statt.
Die fünf aufständischen Regionen der Zapatistas werden nun von
fünf "Juntas der guten Regierung" koordiniert, die dazu da sind,
die Entscheidungen der jeweiligen Basis umzusetzen - getreu dem
zapatistischen Motto des "mandar obedeciendo" (dt.: gehorchend
Befehlen). FunktionsträgerInnen,
die im Sinne ihrer Basis unzufriedenstellend arbeiten, sollen - wie auch
bisher auf Gemeinde- und Landkreisebene - jederzeit abgesetzt werden können.
Die zentralen Aufgaben der "Juntas" sind Vermittlung
bei in- und externen Konflikten, Annahme und gerechte Verteilung von
Hilfsgütern, Überwachung überregionaler Projekte, Verhinderung von
Korruption, Gewährleistung einer ausgewogeneren Entwicklung innerhalb der
rebellischen Gebiete und Kontaktstelle für Solidaritäts- und
Menschenrechtsorganisationen. Vor der Ausrufung der Juntas hatte die Bewegung
mehrere Monate intensiv diskutiert und reflektiert, um ihre eigenen
Strukturen - aber auch den Kontakt zu solidarischen Gruppen - zu verbessern.
Aus den Fehlern und Irrtümern der eigenen Praxis, die die Zapatistas wie nur
wenige Bewegungen öffentlich transparent machen, entstand nun dieser neue
Schritt gesellschaftlicher Selbstorganisierung.
Die Juntas, die in den fünf Logistik- und Kommunikationszentren
der Bewegung ansässig sind, werden aus Delegierten der jeweils zugehörigen
autonomen Landkreise gebildet und wollen sich in Zukunft regelmäßigen
Rotationsprozessen unterziehen. Diese fünf Zentren, bisher
"Aguascalientes" genannt, ließen die Zapatistas im Rahmen der
Feierlichkeiten symbolisch "sterben", um sogleich darauf die Geburt
der neuen, umstrukturierten Zentren, der "Caracoles" (dt.
Schneckenmuschel), zu feiern. Das Symbol der Schneckenmuschel wählte die
hauptsächlich aus Indígenas bestehende Bewegung, um ihr basisdemokratisches
Selbstverständnis - das durch Zuhören und kollektive Entscheidungs- und Artikulationsprozesse
gekennzeichnet ist - zu versinnbildlichen.
Mit dieser Erneuerung "formalisierten" die Zapatistas
ihre schon seit Jahren im Aufbau befindlichen Parallelstrukturen, die v.a.
die Bereiche Gesundheit, Bildung, Rechtsprechung, Landwirtschaft und
Verwaltung betreffen. Diese Strukturen sollen ausdrücklich auch
Nicht-Zapatistas offen stehen, solange diese die EZLN-UnterstützerInnen nicht
belästigen.
Die RebellInnen wehren sich so weiter gegen jegliche
Einverleibungsversuche des politischen Systems - und trotz erheblicher Armut,
Marginalisierung und der Repression in den rebellischen Gemeinden geht die
Selbstorganisierung unter großen Mühen erfolgreich voran.
Die EZLN als Guerilla tritt nun noch weiter zur Seite, die
Gemeinden verwalten sich noch stärker autonom und nur bei gravierenden
Abweichungen von der zapatistischen Ethik will sich die politische Leitung
der EZLN, die Comandancia (die aus rund 25 Personen besteht, die über hohes
Ansehen in ihrer jeweiligen Herkunftsregion verfügen), in die Arbeit der
Juntas einbringen.
Die EZLN, die seit Mitte Januar 1994 nicht mehr militärisch als
Guerilla agiert hat, gab in diesem Kontext auch bekannt, dass sie ihre
Kontrollposten zurückgezogen hat und nur noch bei Holz- und Drogenschmuggel
bzw. im Falle von Angriffen auf ihre Gemeinden aktiv werden will. Sie warnte
die Paramilitärs vor jedweden Aktivitäten, erteilte dem undemokratischen, ultra-
neoliberalen "Modernisierungs" Projekt Plan Puebla Panama - welches
Staudämme, Biopiraterie, Ansiedlung von Billiglohnindustrie, Vertreibung,
Monokulturen u.v.a. bedeuten würde - eine Absage und bezeichnete eine
eventuelle Realisierung durch die mexikanische Regierung in ihren Gebieten
als einen "Gang durch die Hölle".
Doch die politische Offensive der Zapatistas stößt nicht nur auf
Gegenliebe: In den vergangenen Wochen beklagten mehrere zapatistische
Gemeinden die Zunahme militärischer und paramilitärischer Aktivitäten, auch
konkrete Morddrohungen wurden ausgesprochen.
Proteste und Vernetzungen in Cancún
Während der Proteste gegen die (letztlich mehr oder weniger
gescheiterte) Verhandlungsrunde der Welthandelsorgansiation (WTO) Mitte
September 2003 im mexikanischen Cancún manifestierte sich die Tendenz, dass
viele soziale Organisationen inzwischen nicht mehr auf die Reform der
bestehenden politischen und wirtschaftlichen Strukturen hoffen, sondern durch
Basis-Prozesse von unten die Welt verändern wollen. Oft geäußerte
Kernforderungen waren die Abkehr von der kapitalistisch kriegerischen
Weltordnung, Handelsgerechtigkeit, globale Solidarität,
Ernährungssouveränität, Selbstbestimmung sowie die Umsetzung von Frauen- und
Indígena-Rechten. Viele der in Cancún anwesenden Gruppierungen bezogen sich
explizit und positiv auf die politischen Vorschläge der EZLN, die immer
wieder eine vielfältige und horizontale Vernetzung der verschiedenen
Widerstandsbewegungen angeregt hat, um eine "Internationale der
Hoffnung" zu schaffen. Obwohl die Proteste zahlenmäßig geringer als erwartet
ausfielen, war in Cancún zu spüren, dass intensive Organisierungs- und
Vernetzungsprozesse weiterhin im Gange sind.
Die Zapatistas haben mit ihrem neuen ehrgeizigen - aber auch
mühevollen und schwierigen - Projekt der Räteverwaltung in Teilen von Chiapas
bewiesen, dass soziale Alternativen auch im Zeitalter einer aggressiven
kapitalistischen Globalisierung möglich sind. Sie riefen Mexiko und die Welt
dazu auf, ihrem Beispiel der Selbstverwaltung - je nach den örtlichen und
sozialen Gegebenheiten - auf eigene Weise zu folgen.
Die Zapatistas haben der Linken so ein weiteres Mal vor Augen
geführt, dass die Macht nicht übernommen werden muss, um die Welt zu
verändern.
Luz Kerkeling, z.Z. in Mexiko
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B.A.S.T.A.
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